Dauerhafte Müdigkeit, innere Leere, Konzentrationsprobleme – viele Menschen fühlen sich erschöpft, obwohl sie „eigentlich genug schlafen“. Gleichzeitig steigt der berufliche und private Stress. Kein Wunder, dass Therapien gefragt sind, die Energie, Regeneration und Stressresilienz unterstützen sollen.
Eine dieser Optionen sind NAD+-Infusionen. NAD+ (Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid) ist ein körpereigenes Coenzym, das eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel, bei der Zellregeneration und im Umgang mit Stress spielt. Dieses Molekül ist entscheidend für die Energieerzeugung und die Funktion von Immunzellen. Doch wie gut ist die Datenlage wirklich – insbesondere bei Erschöpfung und Stress?
In diesem Beitrag ordnen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse ein: verständlich, nüchtern und ohne überzogene Versprechen.
NAD+ im Überblick: Energie, Zellschutz, Stressregulation
NAD+ kommt in jeder Körperzelle vor und ist an zahlreichen biochemischen Prozessen beteiligt. Dazu gehören unter anderem:
- Umwandlung von Nährstoffen in Energie (ATP) in den Mitochondrien
- Unterstützung von DNA-Reparaturmechanismen
- Regulation von Stoffwechselprozessen
- Aktivierung von Enzymen, die mit Langlebigkeit und gesunder Alterung in Verbindung stehen (z. B. SIRT1)
Mit zunehmendem Alter, chronischem Stress, ungesunder Ernährung und Entzündungsprozessen können die NAD+-Levels im Körper sinken. Studien zeigen, dass ein Rückgang der NAD+-Konzentration mit Alterungsprozessen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Funktionsstörungen auf Zellebene in Zusammenhang stehen.
Gerade bei Erschöpfung und Stress liegt daher das Interesse nahe, NAD+ gezielt anzuheben – etwa über Supplementierung oder Infusionen.
Erschöpfung & Stress: Was passiert im Körper?
Anhaltender Stress – beruflich oder privat – wirkt sich direkt auf die Biologie der Zellen aus. Mögliche Folgen:
- Erhöhter Energiebedarf der Zellen
- Verstärkte Bildung freier Radikale (oxidativer Stress)
- Vermehrte DNA-Schäden und Reparaturbedarf
- Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus
Für all diese Prozesse wird NAD+ als Coenzym benötigt. Sinkt die Verfügbarkeit, kann die Energieproduktion weniger effizient ablaufen. Das kann sich subjektiv in Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Brain Fog und reduzierter Stressresilienz äußern.
Wie könnte NAD+ bei Erschöpfung helfen? – Der theoretische Ansatz
Aus biologischer Sicht gibt es mehrere Ansatzpunkte, wie eine Verbesserung des NAD+-Levels den Umgang mit Stress und Erschöpfung unterstützen könnte:
- Energieversorgung: NAD+ ist unverzichtbar für die Atmungskette in den Mitochondrien und damit für die ATP-Produktion – die „Energie-Währung“ des Körpers.
- Zellschutz & Reparatur: NAD+ ist Cofaktor von Enzymen, die DNA-Schäden erkennen und reparieren (z. B. PARPs).
- Stressantwort & Entzündungsregulation: Über Sirtuine beeinflusst NAD+ Entzündungsprozesse, Stoffwechsel und zelluläre Stressantwort.
- Gehirnfunktion: NAD+-abhängige Prozesse spielen eine Rolle für neuronale Signalübertragung, kognitive Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit.
Diese Mechanismen erklären, warum NAD+ in der Longevity-Forschung und bei chronischer Erschöpfung zunehmend in den Fokus rückt. Die entscheidende Frage lautet jedoch: Was ist durch Studien belegt – und was ist bisher nur Theorie?
Was sagt die Studienlage? – Nahrungsergänzung vs. Infusion
NAD+-Vorstufen (NR, NMN, NADH) in Studien
Die meisten klinischen Daten beziehen sich nicht auf reine NAD+-Infusionen, sondern auf Vorstufen, die der Körper in NAD+ umwandelt – zum Beispiel:
- Nikotinamid-Ribosid (NR)
- Nikotinamid-Mononukleotid (NMN)
- NADH
Mehrere Studien zeigen, dass diese Moleküle die NAD+-Levels im Blut und in bestimmten Geweben erhöhen können.
- In einer Studie mit älteren Erwachsenen verbesserte eine 12-wöchige Supplementierung von NMN subjektive Müdigkeit, Schlafqualität und körperliche Leistungsfähigkeit.
- Andere Untersuchungen mit NR zeigen eine Erhöhung der NAD+-Konzentration, aber gemischte Ergebnisse bezüglich Energielevel, Leistungsfähigkeit und Stoffwechselparametern.
- Eine systematische Übersichtsarbeit von Chini et al. kommt zu dem Ergebnis, dass NAD+/NADH-Supplemente insgesamt als sicher gelten, die klinischen Effekte aber je nach Erkrankung und Studiendesign variieren und noch nicht abschließend belegt sind.
NAD+ und chronische Erschöpfung (z. B. ME/CFS)
Bei Menschen mit Myalgischer Enzephalomyelitis / Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) wurden in Studien erniedrigte NAD+-Levels beschrieben.
- Diese Veränderungen stehen in Zusammenhang mit Störungen des Energiestoffwechsels, der Mitochondrienfunktion und der Stressreaktion.
- Erste Arbeiten diskutieren NAD+-Booster als einen möglichen Ansatz zur Unterstützung, betonen aber klar, dass es bislang keine belastbare klinische Evidenz für eine routinemäßige NAD+-Therapie bei ME/CFS gibt.
Was wissen wir speziell über NAD+-Infusionen?
Für intravenöse NAD+- oder NR-Gaben gibt es bisher nur wenige systematische Untersuchungen:
- Ein Pilotversuch mit intravenöser NR-Infusion zeigte, dass akute Infusionen in moderater Dosierung gut vertragen und sicher waren. Aussagen zur langfristigen Wirkung auf Erschöpfung oder Stress lassen sich daraus jedoch nicht ableiten.
- Populäre Berichte aus Wellness-Kliniken beschreiben NAD+-Infusionen als „Energie-Booster“ oder „Anti-Aging-Drip“. Seriöse Übersichtsartikel weisen aber darauf hin, dass die wissenschaftliche Evidenz für klare Wirksamkeitsaussagen beim Menschen derzeit begrenzt ist.
Wichtig:
Bisher existieren keine großen, placebokontrollierten Studien, die belegen, dass NAD+-Infusionen Erschöpfung oder Burnout zuverlässig und langfristig verbessern.
Sicherheit: Wie gut sind NAD+-Infusionen untersucht?
Grundsätzlich gilt:
- NAD+, NADH und Vorstufen wie NR oder NMN werden in Studien im Allgemeinen gut vertragen und weisen eine niedrige Rate an Nebenwirkungen auf.
- Bei Infusionen können – wie bei anderen Infusionstherapien – vorübergehende Beschwerden auftreten, zum Beispiel:
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
- Wärmegefühl oder Flush
- Blutdruckschwankungen
- Reaktionen an der Einstichstelle
Hinzu kommt:
- NAD+-Therapien können mit bestimmten Medikamenten interagieren (z. B. Blutdruckmedikamente, Insulin, bestimmte Krebstherapien). Deshalb ist eine ärztliche Anamnese und Prüfung der Medikation vor Beginn entscheidend.
- Viele NAD+-Infusionen werden aktuell im Wellness-Bereich angeboten, ohne klare Indikationsstellung oder langfristige Verlaufsbeobachtung. Fachgesellschaften weisen darauf hin, dass in solchen Fällen das Nutzen-Risiko-Verhältnis kritisch geprüft werden sollte.
Für wen kann eine NAD+-Infusion sinnvoll sein – und für wen nicht?
Eine NAD+-Infusion kann dann in Betracht gezogen werden, wenn:
- eine ausgeprägte Erschöpfung vorliegt,
- organische Ursachen (z. B. Anämie, Schilddrüsenerkrankungen, schwere Infekte, Herz- oder Nierenerkrankungen) abgeklärt sind,
- Lebensstilfaktoren (Schlaf, Belastung, Ernährung) adressiert werden,
- und der Wunsch nach einer ergänzenden, infusionsbasierten Therapie besteht.
Weniger geeignet ist eine NAD+-Infusion, wenn:
- relevante Vorerkrankungen ohne ärztliche Abklärung bestehen,
- eine laufende onkologische oder komplexe medikamentöse Therapie ohne Rücksprache mit den behandelnden Ärzt:innen erfolgt,
- die Erwartung besteht, dass eine einzelne Infusion ein komplexes Erschöpfungs- oder Burnout-Syndrom „allein löst“.
NAD+ sollte immer als Teil einer Kombination in einem Gesamtbehandlungsplan gesehen werden – nicht als Ersatz für fundierte Diagnostik oder psychotherapeutische und arbeitsmedizinische Unterstützung.
NAD+-Infusion im Kontext eines ganzheitlichen Ansatzes
Ein evidenzbasierter Umgang mit NAD+-Infusionen bedeutet:
- Ursachenorientierung: Zunächst steht eine sorgfältige medizinische Abklärung – von Blutwerten über Hormonstatus bis hin zu Lebensstil, Schlaf und psychischer Belastung.
- Realistische Erwartungen: NAD+ kann theoretisch Prozesse der Zellenergie und Regeneration unterstützen. Es ersetzt jedoch keine Ruhephasen, keinen gesunden Schlaf und keine strukturelle Veränderung im Alltag.
- Individuelle Therapieplanung: Ob eine NAD+-Infusion sinnvoll ist, hängt von Ihrer Ausgangslage, Ihren Werten, Ihrer Vorgeschichte und Ihren Zielen ab.
- Begleitende Maßnahmen: Bewegung, ausgewogene Ernährung, Stressmanagement, ggf. psychotherapeutische Unterstützung und weitere Infusionen (z. B. Mikronährstoffe wie Magnesium und Vitamin B3) können sinnvoll kombiniert werden.
Fazit: NAD+-Infusion – ein spannender Ansatz mit begrenzter Evidenz
NAD+ ist ein zentrales Coenzym für Energie, Zellgesundheit und Stressregulation. Die Idee, über NAD+-Infusionen Erschöpfung und stressbedingte Beschwerden zu lindern, ist biologisch plausibel – die aktuelle Studienlage beim Menschen ist jedoch noch nicht so weit, um klare, allgemeingültige Empfehlungen auszusprechen.
Wer unter anhaltender Erschöpfung leidet, sollte sich zunächst umfassend medizinisch beraten lassen. Auf dieser Ebene kann besprochen werden, ob eine NAD+-Infusion als Baustein in einem ganzheitlichen, evidenzbasierten Behandlungskonzept sinnvoll ist – mit realistischen Erwartungen und einem klaren Blick auf Chancen und Grenzen.
Häufige Fragen zu NAD+-Infusionen bei Erschöpfung & Stress
Hilft eine NAD+-Infusion garantiert gegen Erschöpfung?
Nein. Die wissenschaftliche Datenlage ist noch begrenzt. Es gibt plausible biologische Mechanismen und erste Studien zu NAD+-Vorstufen, die Verbesserungen bei Müdigkeit und Leistungsfähigkeit zeigen. Eine garantierte Wirkung – insbesondere bei komplexen Stress- und Erschöpfungssyndromen – lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.
Wie schnell kann man eine Veränderung spüren?
Einige Patient:innen berichten über mehr Klarheit oder Energie innerhalb von Stunden bis Tagen nach einer Infusion, andere verspüren keinen unmittelbaren Unterschied. Wissenschaftliche Daten über kurzfristige subjektive Effekte von NAD+-Infusionen sind bisher sehr begrenzt.
Wodurch unterscheidet sich eine Infusion von NAD+-Kapseln?
Bei einer Infusion gelangt NAD+ oder eine Vorstufe direkt ins Blut und umgeht den Verdauungstrakt. Das kann zu höheren kurzfristigen Blutspiegeln führen. Viele Studien liegen aber zu oralen Vorstufen wie NR oder NMN vor – nicht zu Infusionen.
Ist NAD+ bei Stress und Burnout als alleinige Therapie geeignet?
Nein. Erschöpfung und Burnout sind multifaktoriell bedingt – von Arbeitsbelastung über Schlaf bis hin zu psychischen Faktoren. Eine NAD+-Infusion kann allenfalls ein ergänzender Baustein sein. Zentral bleiben: Entlastung, Schlaf, Psychoedukation, ggf. Psychotherapie und Anpassungen im Alltag.
Was kann ich selbst tun, um meinen NAD+-Stoffwechsel zu unterstützen?
Regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf, eine antioxidativ ausgerichtete Ernährung (z. B. viel Gemüse, Vollkorn, gesunde Fette), der Umgang mit Alkohol und Nikotin sowie der bewusste Umgang mit Stress tragen dazu bei, die zelluläre Gesundheit insgesamt zu unterstützen. Bestimmte Nahrungsergänzungen mit NAD+-Vorstufen sind möglich, sollten aber medizinisch begleitet werden.